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1. BAG 22.09.2022: Schadensersatz bei Verstoß gegen Nachweisgesetz

Der Kläger machte ausstehende Vergütungsansprüche geltend, das Unternehmen trat dem im Wesentlichen unter Verweis auf eine bestehende Ausschlussfristenregelung entgegen. Hiernach wären die Ansprüche verfallen gewesen. Ein Hinweis des Arbeitgebers nach dem Nachweisgesetz in der bis 31.07.2022 geltenden Fassung war jedoch nicht erfolgt. Der Kläger verlangte deshalb Schadensersatz in Geld genau in Höhe der von der Ausschlussklauselbetroffenen Vergütungsansprüche. Das BAG erkannte zwar den Verstoß gegen die Nachweispflichten an, hielt diesen ab nicht für kausal (ursächlich) für den entstandenen Schaden. Zwar bestehe eine Vermutung, dass der Arbeitnehmer sich bei entsprechendem Nachweis auch hiernach gerichtet hätte, sprich die Ausschlussfrist gewahrt worden wäre. Den letztendlichen Nachweis müsse aber der Arbeitnehmer im Prozess bringen. Dem sei er nicht gerecht geworden. In der Tat hatte der Kläger unglücklich vorgetragen, er habe die offenen Ansprüche über „mehrere Jahre nicht bemerkt“. Hiermit manövrierte er sich selbst ins Abseits, weil er damit offenkundige Zweifel an der alleinigen Ursächlichkeit des Nichtnachweises schürte, sprich die Vermutung der Einhaltung der Ausschlussfrist bei ordnungsgemäßem Nachweis erschütterte.Spiegelbildlich zeigt das Urteil deutlich das Risiko für Unternehmen, welches aus Nichteinhaltungder – seit 01.08.2022 noch einmal gesteigerten – Nachweispflichten resultieren kann. 

 

2. BAG 18.01.2023: Lohngleichheit bei Teilzeitkräften

Das BAG entschied nunmehr über die, in unserer Veranstaltung Update Arbeitsrecht I vom März 2022 angesprochene, Revision gegen das Urteil des LAG München zur Frage, ob lediglich auf Zuruf eingeteilte Teilzeitkräfte, hier Rettungssanitäter, zu einem geringeren Stundenlohn bezahlt werden dürfen als jene in einem festen Dienstplangefüge. Wie das LAG differenzierte das BAG zwischen dem Kläger, der frei fließend eingeteilt wurde, und fest angestellten, sog. hauptamtlichen Rettungssanitätern, von welchen es aber eben auch Rettungssanitäter in Voll- und in Teilzeit gab. Die Hauptamtlichen erhielten 17,00 EUR je Stunde, der Kläger als sog. Nebenamtlicher 12,00 EUR je Std.

Der Kläger verlangte die Lohndifferenz für einige Monate mit Verweis auf eine gegen das TzBfG verstoßende Ungleichbehandlung wegen seiner Teilzeittätigkeit. Die Beklagte hielt die Vergütungsdifferenz für sachlich gerechtfertigt, weil sie mit den hauptamtlichen Rettungsassistenten größere Planungssicherheit und weniger Planungsaufwand habe. Diese erhielten zudem eine höhere Stundenvergütung, weil sie sich auf Weisung zu bestimmten Diensten einfinden müssten. 

Dem folgten weder LAG noch jetzt das BAG: Sowohl Haupt- als auch Nebenamtliche seien gleich qualifiziert. Dass sich ein Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers zu bestimmten Dienstzeiten einfinden muss, rechtfertigt in der gebotenen Gesamtschau keine höhere Stundenvergütung gegenüber einem Arbeitnehmer, der frei ist, Dienste anzunehmen oder abzulehnen.

Aus unserer Sicht betonte das LAG – die BAG-Begründung liegt noch nicht vor - zu Recht, dass nicht nur eine Ungleichbehandlung wegen seiner Teilzeit im Verhältnis zu hauptamtlichen Vollzeitkräften vorliegt, sondern auch eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Klägers im Verhältnis zu hauptamtlichen Rettungssanitätern in Teilzeit. Das LAG arbeitete zutreffend heraus, dass das Verbot der Ungleichbehandlungauch dann gelte, wenn teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer untereinander unterschiedlich behandelt werdensofern eine Gruppe der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer wie vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer behandelt und die andere Gruppe der Teilzeitbeschäftigten von einzelnen Leistungen ausgeschlossen wird.

Im Ergebnis ist wegen des Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot die vereinbarte Vergütung von 12,00 EUR nichtig, dem Kläger steht in Ermangelung einer wirksamen Vergütungsvereinbarung die übliche Vergütung nach § 612 BGB zu, welche sich aus dem direkten Vergleich als mit 17,00 EUR je Stunde zu bemessen ergibt. Diese Konsequenz zeigt einmal mehr deutlich auf, welche Folge unwirksame Vertragsabreden im Wege des gesetzlich angeordneten Ersatzes durch die übliche Vergütung haben können. 

 

3. LAG Hamm, 23.11.2022: Änderung von Lohnbestandteilen durch BV 

Der im Verkauf tätige Kläger hatte neben einem monatlichen Fixum „Provisionen und Prämien gemäß der jeweils gültigen Betriebsvereinbarung“ im Arbeitsvertrag vereinbart. Die nachfolgend in Kraft getretene Betriebsvereinbarung sah nur noch variable Vergütungen vor. Der Kläger klagteauf Zahlung des monatlichen Fixums. Das LAG gab dem nicht statt, weil es die arbeitsvertragliche Regelung unter Bezugnahme auf die BAG Rechtsprechung für „betriebsvereinbarungsoffen“ hielt. Unter Referenz auf die BAG-Urteilsbegründung aus 2019, wonach „die Arbeitsvertragsparteien ihre vertraglichen Absprachen dahingehend gestalten können, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen und dies nicht nur bei betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen möglich ist, sondern auch bei einzelvertraglichen Abreden“ sah das LAG die Änderung für berechtigt an. Ein Anspruch auf ein Fixum besteht nicht mehr

Unseres Erachtens gehen hier LAG wie auch BAG Rechtsprechung an einer Stelle von der im Übrigen doch weitgehenden Arbeitnehmerschutzrechtsprechung ab, an welcher eine solche grundlegende Abkehr nicht zu rechtfertigen ist. Selbst wenn der Wortlaut des Vertrags eine Offenheit für betriebliche abweichende (auch verschlechternde?Neuregelungen begründen mag, ist ein wie im vorliegender Fall erfolgter tiefgehender Eingriff in die strukturelle Vergütungsabrede und letztlich das, was der Mitarbeiter für die erbrachten Dienste als Gegenleistung konkret erhältmassiv und derart gravierend, dass nicht anzunehmen ist, dass der Mitarbeiter sich dieser Tragweite bei Abschluss des Vertrags bewusst gewesen ist. Hier wird nicht hinreichend gewichtet, dass der Arbeitsvertrag selbst die Vergütung durch Zahlung eines Fixums begründet. Eine quasi beliebige Aufweichung dessen durch eine spätere betriebliche Regelung kann nur schwer als vom Willen des unterzeichnenden Mitarbeiters bei Vertragsschluss gedeckt angesehen werden. Rechtstechnisch gehen hier Wortlaut und Sinn und Zweck der Regelung im Vertrag derart weit auseinander, dass eine abweichende Einschätzung und Gewichtung dieser Spreizung durchaus gerechtfertigt gewesen wäre. 

 

4. LAG Niedersachsen, 12.10.2022: Rückzahlung Fortbildungskosten

Die Parteien streiten um die Rückzahlung von Fortbildungskosten. Diese sollten nach der Vereinbarung erfolgen, wenn arbeitnehmerseitig veranlasst. So unter anderem für das Nichtbestehen der Prüfung bzw. das Ausscheiden aus der Fortbildungsmaßnahme und der Beendigung Arbeitsverhältnisses noch vor Ablegen des der Prüfung. Die Arbeitnehmerin kündigte selbst, man in der einigte sich vertraglich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Unternehmen forderte 5000 EUR aufgewandte Fortbildungskosten zurück. Hiergegen hatte das LAG keine Bedenken, es ließ jedoch die Revision zu. Eine unangemessene Benachteiligung nach AGB-Recht (§ 307 BGB) verneinte das LAG. Dies jedenfalls soweit die Fortbildungsrückzahlungsklausel eine Beendigung nicht erfasst, welche durch den Arbeitgeber veranlasst wurde. Das LAG spricht insofern davon, „wegen vorzeitiger Beendigung der Fortbildungsmaßnahme seien die durch den Arbeitgeber aufgewandten Beträge und die damit verbundene arbeitgeberseitige Hoffnung vollständig frustriert“. Es bleibt mit Spannung zu erwarten, wie das BAG entscheiden wird. 

 

5. LAG Schleswig-Holstein 27.9.2022: dienstliche Mitteilung in der Freizeit?

Der als Notfallsanitäter tätige Kläger sollte durch kurzfristige Dienstplanänderung eingeteilt werden. Der Kläger war jedoch weder telefonisch noch per SMS zu erreichen. Er meldet sich erst wieder zu seinem ursprünglich geplanten Dienstbeginn. Hierauf erteilte der Arbeitgeber eine Abmahnung. Diese ist, so das LAG, unbegründet. Es lag kein unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz vor. Mit der Kenntnisnahme der entsprechenden SMS sei nicht an dem Tag der Dienstplanänderung, sondern erst am Tag des regulären nächsten Dienstbeginn zu rechnen. Den Kläger treffe keine Verpflichtung, in seinerFreizeit dienstliche SMS aufzurufen oder sich über seine Arbeitszeit zu informieren. Das LAG argumentiert recht simpel: das Lesen der SMS sei eine Arbeitsleistung, mithin Arbeitszeit. Diese könne der Arbeitgeber nicht fordern, wenn dies nicht vereinbart ist. Wenn diese Arbeitszeit also nicht erbracht werden muss durch Lesen der SMS, komme eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung durch Diensterbringung im Ergebnis dieses „Lesens“ nicht in Betracht.  

 

6. LAG Thüringen 22.12.2022: Zugang Schreiben, Inhalt

Die Klägerin machte mit Schreiben an ihren Arbeitgeber eine Jahressonderzahlung für das Jahr 2019 geltend. Durch Einlieferungsbeleg der Briefsendung bei der Post mit Sendungsnummer konnte sie den Zugang nachweisen. Der Arbeitgeber trat dem durch einfaches Bestreiten im Prozess entgegen, der empfangene Brief habe den bezeichneten Inhalt, nämlich das Geltendmachungsschreiben nichtenthalten. Dies genügt jedoch nicht. Das LAG fordert insofern eine Erklärungwelchen anderen Inhalt die Briefsendung gehabt haben soll. Mittels einfachen Bestreitens im Prozess sei die Behauptung der Versenderin nicht zu Fall zu bringen. Der Empfänger (Arbeitgeber) wäre gefordert gewesen zu erklären, welchen anderen Inhalt die Briefsendung gehabt haben soll. Kommt der Empfänger dem nicht nach ist von der Richtigkeit des Vortrags des Absenders auszugehen.

7. BAG 15.12.2022: Mitteilung Schwangerschaft

Die Klägerin hatte während ihres Vorstellungsgesprächs mitgeteilt, während einer früheren Schwangerschaft sei eine fehlende Immunität gegen das Zytomelagievirus festgestellt worden. Beinachfolgender Unterzeichnung des befristeten Arbeitsverhältnisses war die Klägerin wiederum schwangerteilte dies jedoch nicht mit. DerBeklagte focht das Arbeitsverhältnis an und kündigte hilfsweise während der Probezeit, weil er meinte, die Klägerin wäre mitteilungspflichtig gewesen. In der Revisionsinstanz verteidigte der Beklagte diese Sicht. Zwar sei die Klägerin schützenswert, aber angesichts geänderter gesellschaftlicher Anschauungen sei heute eine abweichende Bewertung anzusetzen. 

Das BAG hielt die Revision bereits für unzulässig. Unter Verweis auf die EuGH- Rechtsprechung aus 2001hielt das BAG die Offenbarungspflicht hier auch deshalb nicht für gegeben, weil nicht von vorn herein feststand, ob die Klägerin innerhalb der Befristung gar nicht arbeiten werde können. Der Beklagte meinte, eine Übergleichbehandlung schwangerer Frauen läge vor, welche zu einer mangelnden, gesellschaftlichen Akzeptanz führe. Hiermit setzte sich der Beklagte jedoch nicht vertieft auseinander. Das Urteil ist daher erwartungsgemäß. Spannender Aspekt ist jedoch das klare Statement des BAG, wonach grundsätzlich ein Revisionsangriff auch darauf gestützt werden könne, dass z.B.gesellschaftliche Entwicklungen eine Änderung der bestehenden Rechtsprechung, der sich ein Berufungsgericht in der angegriffenen Entscheidung angeschlossen hat, erforderten. Hierzu bedürfe es aber einer konkreten Auseinandersetzung mit der infrage gestellten Rechtsprechung, woran es fehlte. 

Gern weisen wir auf unsere Veranstaltungen zum „Update Arbeitsrecht I 2023“ am 15.03. und 16.03.2023 hin (Information und Anmeldung unter www.heinze-legal-coaching.de).