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1. BAG v. 20.06.2023: Arbeitnehmer haftet nicht für Vermittlungsprovision bei vorzeitiger Kündigung

Der Arbeitgeber verlangte letztlich nutzlos aufgewandte Vermittlungsprovisionen, welche er  an eine Personalvermittlungsagentur gezahlt hatte vom Arbeitnehmer erstattet, weil jener das Arbeitsverhältnis vorfristig, nämlich bereits nach zwei Monatengekündigt hatte. Der Arbeitsvertrag sah eine Rückzahlungsverpflichtung für den Fall der Beendigung vor Ablauf von 13 Monaten vor. Der Arbeitgeber behielt einen Teil der für den zweiten Monat geschuldeten Vergütung ein, der Arbeitnehmer klagt auf Zahlung bis zum BAG. Das BAG sah die Arbeitsvertragsklausel als nach AGB-Recht unwirksam an gem. § 307 BGB. Der Arbeitnehmer erhalte für die Beeinträchtigung seiner grundgesetzlich gewährten Berufsfreiheit i.S.d. Art. 12 GG durch faktische Erschwerung der Kündigungsfrist keinen Vorteil. Der Arbeitgeber trage allein das Risiko, dass sich die getätigten Investitionen für den Personalvermittler von über 4.000 EUR auch rentieren. Diese Sichtweise wirkt reichlich „aus der Zeit gefallen“, betrachtet man die realen Lebensumstände abseits von der Richterbank. Auch die unternehmerische Aktivität genießt Schutz durch das Grundgesetz nach Art. 14 GG! Wir betreuen aktuell - in zwei ähnlich eher arbeitgeberlastig gelagerten Fällen der Risikoverteilung – zwei Verfahren(zum einen zum Annahmeverzug, zum anderen zur  Einhaltung der Kündigungsfrist durch den Arbeitnehmer und Schadenspauschale), welche hoffentlich Gelegenheit bieten, etwas mehr Ausgewogenheit in die Risikoverteilung zu bringen. Im Rahmen der Arbeitsvertragserstellung sind natürlich auch Möglichkeiten der entsprechenden Gestaltung denkbar, um diesem Ziel zu entsprechen. 

 

2. BAG, 29.06.2023: offene Videoüberwachung – Verwertungsverbot?

Der Kläger checkte über ein Drehkreuz mit Zeiterfassung ein, verließ aber das Unternehmen zeitnah wieder. Er rechnete Arbeitszeit ab, das Unternehmen konnte aufgrund offener Videoüberwachung mittels Kamera über dem Eingang das Verlassen belegen. Es kündigte wegen Arbeitszeitbetruges, das BAG hatte sich mit der Zulässigkeit der Überwachung nach DSGVO auseinander zu setzen. Der gekündigte Kläger wandte ein Verwertungsverbot ein. 

Nach DSGVO stellt auch die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche ein Ziel dardas eine Verarbeitung personenbezogener Daten rechtfertigen kann. Ein Verwertungsverbot kommt nur dann in Betracht, wenn dies zwingend geboten ist, also die Schutzzwecke des verletzten Grundrechtsdes Arbeitnehmers der Verwertung der Erkenntnis oder des Beweismittels im Rechtsstreit entgegenstehen und deshalb die Verwertung selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Anders als bei einer verdeckten Überwachungsmaßnahme geht es bei einer für ihn erkennbaren Überwachung nichtum den Schutz vor einer (heimlichen) Ausspähung, sondern "nur" um Entfaltungs-, Dokumentations- und Verbreitungsschutz. Denn der Arbeitnehmer wird durch die Überwachung und Aufzeichnung seines Verhaltens nicht daran gehindert, selbstbestimmt zu handeln. Zwar wird dieses Verhalten dokumentiert und damit eine Verbreitung ermöglicht. Jedoch muss der Arbeitnehmer bei offener Überwachung erkennbare Folge hinnehmen, soweit die Bildsequenz zur Führung des "Tatbeweis" dient,  also zur Durchsetzung rechtlich geschützter Belange des Arbeitgebers. Das BAG formuliert einen schönen Merksatz: Datenschutz ist kein Tatenschutz.

Es ist dabei rechtlich ohne Bedeutung, dass das Piktogramm - über das Monitoring hinaus - nicht gesondert auf eine Speicherung hingewiesen hat. Die Arbeitnehmer wurden nur beimDurchschreiten des Tores - bei Betreten des Werksgeländes für eine kurze Zeit gefilmtIhre Intim- oder Privatsphäre wurde dabei nicht tangiert. Weil nach alledem kein Sachvortragsverwertungsverbot eingreift, gilt der Vortrag des Unternehmens (basierend auf den Videoaufzeichnungen) nach § 138 ZPO als zugestanden, weil der Kläger nicht detailliert hat, ob er entweder zwar das Werksgelände vor Schichtbeginn verlassen, es jedoch noch vor Schichtbeginn wieder betrat oder ob er durchgängig auf dem Werksgelände blieb. Mangels Festlegung des Klägers auf eine der Varianten lag kein ausgereichendes Bestreiten vor.

 

3. LAG Baden-Würtemberg, 27.7.2023 – Schadensersatz wegen Bildverwendung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Der Kläger macht Schadensersatz wegen der Verwendung von Video- und Fotoaufnahmen mit Abbildungen von ihm nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend. Er war bis April 2019 beschäftigt, ab Mai 2019 war er bei einem Wettbewerber der Beklagten tätig. Der Kläger leitete für den beklagten Altarbeitgeber Schulungen, hierbei wurden zahlreiche Fotos gemacht und ein Werbevideo erstellt, welches im Internet verfügbar war. Trotz Aufforderung zum Löschen verwendete die Beklagte die Darstellungen weiter für 9 Monate. Das Arbeitsgericht sprach einen Schadensersatzanspruch von 3.000 EUR zu, das LAG erhöhte auf 10.000 EUR wegen einer schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechtsbasierend auf der DSGVO. Für den Altarbeitgeber sei ohne weiteres ersichtlich gewesen, dass der Kläger nach dem Ausscheiden sein vormaliges Einverständnis zur Verwendung nicht aufrechterhielt. Weil die Beklagte das Foto des Kläger über den Bestand dessen Arbeitsverhältnisses hinaus zur Verfolgung eigener kommerzieller Interessen eingesetzt habe, sei die Entschädigung höher anzusetzen so das LAG. Zwar gebe die DSGVO keine Rechtsgrundlage zur Gewinnabschöpfung, jedoch ist die Gewinnerzielung als Bemessungsfaktor für die Höhe der Geldentschädigung heranzuziehen. Es müsse ein „echter Hemmungseffekt“ von der Entschädigung ausgehen. 

 

4. BAG v. 28.3.2023 – Urlaubsabgeltung bei Krankheit

Die Klägerin erkrankte ab 24.06.2019 dauerhaft bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses 2021. Bis zum 24.06.2019 waren ihr 17 Urlaubstage gewährt worden, sie begehrt die Abgeltung weiterer 10 Tage für 2019 nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das BAG beruft sich zunächst auf seine Rechtsprechung zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei Dauererkrankung 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Allerdings fordert es auch, dass im Zeitraum aktiver Arbeitsleistungserbringung ein Hinweis darauf erfolgtewie viel Urlaub noch besteht und dass dieser, werde er nicht genommen, verfiele. Dies unterließ die Arbeitgeberin in 2019 – operativ nachvollziehbar, nahm doch die Klägerin bereits bis 24.06.2019 17 Tage und bestand kein Anlass zu befürchten, dass eine Dauererkrankung drohte. Wegen dieser Unterlassung sah das BAG den Resturlaub nicht als verfallen an. 

Konsequenz ist damit, dass unternehmensseitig frühzeitig im Urlaubsjahr (2. Januar?) jeder einzelne Arbeitnehmer auf die Zahl seiner Urlaubstage für das gerade erst begonnen habende Urlaubsjahr hinweist und darauf, dass dieser in Anspruch genommen werden muss, andernfalls er verfalle. Die Vorgaben des EuGH zu Transparenz und Deutlichkeit dieses Hinweises sind zu beachten. Dieses u.E. seitens des EuGH 2018 auf den Weg gebrachte „Bürokratiemonster“ ist nicht zu vermeiden wenn sichergestellt werden soll, dass der Urlaub auch jedenfalls zum Ablauf der relevanten Verfalltermine 31.12. des Urlaubsjahres respektive 31.03. des Folgejahres bzw. binnen 15 Monaten nach Ablauf des Urlaubsjahres bei Dauererkrankung verfällt. 

 

5. LAG Köln v. 12.09.2023 - Zeugnisberichtigung

Der Kläger war bei der Beklagten über fünf Jahre zuletzt als operativer Niederlassungsleiter. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses stritten die Parteien über die Berichtigung eines erteilten Arbeitszeugnisses. Das Zeugnis umfasst zwei DIN-A4 Seiten, wovon die erste Seite auf Firmenbriefpapier gedruckt ist und die zweite Seite auf neutralem Papier. Der Kläger war der Ansicht, er habe einen Anspruch darauf, dass ihm in der Leistungsbeurteilung attestiert werde, er habe die vereinbarten Ziele nachhaltig und erfolgreich verfolgt. Ließe man die Formulierung „erfolgreich“ weg, so indiziere dies, der Kläger habe die ihm gesetzte Ziele nicht erreicht. Dies treffe nicht zu und enthalte zudem eine derart negative Bewertung, dass die Beklagte verpflichtet sei, eine solche Schlechtleistung durch ihn zu beweisen. Dasselbe gelte für die Formulierung, er habe „Aufgaben und Verantwortung delegiert“. Hier sei zwingend zu ergänzen, dass er dies in „angemessenem Umfang“ getan habe. Das neue Zeugnis sei schließlich vollständig und nicht nur mit der ersten Seite auf Firmenbriefpapier auszustellen. Die Beklagte ging von keinesfalls vollumfänglich guter Arbeitsleistungen aus, es habe seitens einiger Mitarbeiter massive Beschwerden gegen den Kläger und dessen Führungsverhalten gegeben. Wolle der Kläger eine bessere Benotung erreichen, so obliege ihm hierfür die Darlegungs- und Beweislast.
Das LAG bejahte einen Zeugnisberichtigungsanspruch. Erhalte Arbeitnehmer nur eine unterdurchschnittliche Leistung wie hier, so müsste der AG diese Bewertung beweisen. Hier sei zu berücksichtigen, dass jemand, der Ziele „nachhaltig“, aber nicht „erfolgreich“ verfolgt und der delegiert, aber nicht in „angemessenem Umfang“, unterdurchschnittlich arbeitet. Nach den dargestellten Grundsätzen traf damit die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast. Dieser war sie jedoch nicht in ausreichendem Maße nachgekommen.
Unter dem Aspekt der Selbstbindung ist der Arbeitgeber zudem gehalten, von einem Zwischenzeugnis nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers abzuweichen, solange eine geänderte Tatsachengrundlage nicht vorliegt. Der Arbeitgeber ist für den Zeitraum, den das Zwischenzeugnis erfasstgrundsätzlich auch hinsichtlich des Inhalts des Endzeugnisses gebunden. Hinsichtlich der Verwendung von Firmenbriefpapier nahm das LAG als Maßstab, ob der Arbeitgeber in seiner externen Kommunikation ausschließlich Firmenpapier verwendet, in diesem Fall sei auch ein Arbeitszeugnis hierauf zu erstellen. Der Arbeitgeber nutzte Firmenbriefpapier jedoch nur auf die erste Seite. Die Beklagte hatte nämlich vorgetragen, dass sie üblicherweise die zweite Seite bei der Korrespondenz mit Dritten nicht auf Firmenpapier ausstellte. Insofern war auch das Zeugnis nur mit Seite 1 auf Firmenpapier auszustellen. 

 

6. ArbG Paderborn v. 6.7.2023, Inflationsausgleichprämie nur für bestimmte Arbeitnehmer?

Die seit 2009 in Teilzeit Beschäftigte begehrte Inflationsausgleichprämie, der AG hatte diese auf jene Mitarbeiter beschränkt, die keine Sonderleistungen aufgrund Arbeitsvertrags bekommen hatten. Der AG argumentierte, die Klägerin habe als Sonderzahlungen für die Vorjahre insgesamt rund 3.700 € brutto erhalten, ein Großteil der Belegschaft habe dagegen seit dem Jahr 2020 keine Sonderzahlung mehr erhalten. Hierin sah der AG einen sachliche Differenzierungsgrund dafür, diejenigen Mitarbeiter, die keine Sonderzahlungen erhalten haben, günstiger zu behandeln als entsprechende Zahlungsempfänger der Inflationsprämie. Das ArbG sprach keine Inflationsprämie zu, der AG habe mit der Beschränkung der Leistungen einen weitergehenden Zweck verbunden, die Verteilung der Leistung und die dafür gegebene Begründung zeige, dass es der Beklagten bei der Differenzierung um eine Angleichung der Arbeitsbedingungen ging. Dabei sei die Geltung verschiedener Vertragsmodelle jedoch nur ein formeller Gesichtspunkt und ersetze nicht den sachlichen Grund für die Differenzierung. Eine Gruppenbildung sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Unterscheidung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist. Der seitens des AG hier bezweckte Ausgleich gegenüber den AN, die einen Anspruch auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld hatten rechtfertige als sachlicher Grund die Differenzierung.

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