2021 Newsletter corporate I

1. INTERNATIONALES HANDELS- und VERTRIEBSRECHT

UK Supreme Court, Oct. 9 2020: Anwendbares Recht-Vertrag-Schiedsklausel

Das Urteil greift einen Dauerbrenner des internationalen Vertragsrechts auf: welches Recht ist auf die Schiedsklausel des Vertrags anwendbar, wenn das materielle Recht des Vertrags ein anderes Recht bestimmt als jenes, welches am Sitz des Schiedsgerichts gilt? Die Frage hat nicht nur akademische Bedeutung, kann doch mit ihrer Beantwortung der Schiedsklausel ihre Wirkung entzogen werden. Das oberste Zivilgericht Englands sieht die Zeit für eine grundlegende Beantwortung der Streitfrage gekommen: the time has come to seek to impose some order and clarity on this area of the law”. Denkbar wäre z.B., dass der Vertrag eine Rechtswahlklausel zugunsten Kalifornien enthält, man sich aber im Vertrag auch auf ein Schiedsverfahren nach den Regeln der ICC in Paris einigt: Hier käme in Betracht, die Wirksamkeit der Schiedsklausel nicht nach kalifornischem sondern französischem zu beurteilen.

Im Fall war ein Bauvorhaben mit getroffener Wahl Russischen Rechts, aber einem Schiedsstandort in London unter Anwendung der Schiedsregeln der Internationalen Handelskammer Paris gegeben. Das SC stellt zunächst die Nichtanwendung der noch in UK anwendbare EU-Rom I Verordnung fest (Art. 1 (2)e). Das SC wendet sodann ersatzweise englisches Common Law an und arbeitet die englische Referenzrechtsprechung seit 1884 auf. Im Regelfall folge das auf die Schiedsklausel anwendbare Recht dem für den Vertrag gewählten Recht, es sie denn, besondere Umstände lägen vor, z.B. sofern ein anderer Wille der Parteien feststellbar sei. Die Parteien hätten im Fall explizit eine neutrale Schiedsordnung gewählt, dieses Neutralitätsgebot solle auch für die Schiedsklausel gelten, weil damit anzunehmen sei, die Parteien hätten sich bei den Vertragsverhandlungen auf keinen anderen Kompromiss als dieses neutrale Recht des Sitzes einigen können, wenn sie diesen Punkt ausdrücklich verhandelt hätten. Maßgebliches Argument des SC ist aber auch die New York Convention 1958 zur Anerkennung und Vollstreckung internationaler Schiedssprüche, welche in Ermangelung einer expliziten Rechtswahl für die Schiedsklausel hilfsweise auf den Sitz des Schiedsgerichts abstellt und hieraus die Rechtswahl gewinnt. Wenn dies im Rahmen der Vollstreckung so zu erfolgen habe nach der NYConvention für die Beurteilung der Wirksamkeit der Schiedsklausel, so müsse dies auch im vorhergehenden Verfahrensabschnitt der eigentlichen prozessualen Auseinandersetzung so gelten. Die Problematik lässt sich generell durch geeignete Vertragsgestaltung entschärfen.

 

2. GESELLSCHAFTSRECHT

2.1. LG Stuttgart 25.01.2021: GmbH-Beschluss Umlaufverfahren § 2 COVMG

Die GmbH lud zur Beschlussfassung im Umlaufverfahren per Email, diese war in der Satzung vorgesehen, „wenn keiner der Gesellschafter der Art der Beschlussfassung widerspricht“. Gegenstand der geplanten Beschlussfassung war auch die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer. Der Versammlungsleiter stellte nach Ablauf der Beschlussfassungsfrist das Ergebnis fest mit „Abberufung des Geschäftsführers erfolgt“. Hiergegen ging der Kläger vor und erwirkte eine einsteilige Verfügung auf einstweilige Belassung seiner Geschäftsführerbefugnisse. Das LG gewährte die Verfügung, die GmbH versuchte dies im Widerspruchsverfahren erfolglos zu ändern. Die GmbH argumentierte, die Vorschriften zur erleichterten Durchführung von Beschlussfassungen im Umlaufverfahren nach § 2 COVMG seien anzuwenden, es käme deshalb nicht darauf an, dass alle Gesellschafter mit der Durchführung des Umlaufverfahrens einverstanden seien. Dem widersprach das LG und sah einen Vorrang der Satzungsregelung. Das COVMG ermögliche nur, von der Regelung des § 48 Abs. 2 GmbHG abzuweichen. Diese Modifikation gelte, so das LG, jedoch nur für die gesetzlich in § 48 Abs. 2 GmbH vorgesehene Möglichkeit des Umlaufverfahrens, indem COVMG auf das Volleinverständnis aller Gesellschafter verzichtet. In die Dispositionsbefugnis der Satzung greife COVMG dies jedoch nicht ein, d.h. sofern eine explizite Satzungsregelung besteht, geht diese Regelung i.S. des § 45 Abs. 2 GmbHG vor.

 

2.1. BGH v. 26.01.2021: Anfechtung von GmbH-Gesellschafterbeschlüssen, Einziehung, Gesellschafterliste, Abberufung Geschäftsführer, Kündigung

Die Entscheidung befasst sich mit der Wirksamkeit der Beschlussfassung im klassischen Streit-Triangel: Der Kläger wehrte sich mit Anfechtung gegen seine Abberufung als Geschäftsführer, die Einziehung seiner Anteile und die Kündigung des GF-Dienstvertrags u.a. vom 10.10.2014. Die beiden „verbliebenen Gesellschafter“ und Mitgeschäftsführer änderten zeitnah nach Beschlussfassung die Gesellschafterliste durch „Austragung“ des Klägers. Sie bestätigten in späterer Gesellschafterversammlungen u.a. vom 14.03.2016 die durch den Kläger angegriffenen Beschlüsse noch einmal. Auch hiergegen wandte sich der Kläger.
Der BGH stellt zutreffend darauf ab, dass die Anfechtung nur durch einen durch die Gesellschafterliste legitimierten Gesellschafter erfolgen kann. Dies war bei den Angriffen des Klägers gegen die bestätigenden Beschlussfassungen vom 14.03.2016 bezüglich Abberufung und Kündigung aber nicht mehr gegeben, weil er bereits aus der Gesellschafterliste als Gesellschafter ausgetragen war. Konsequenz ist, dass dem Kläger für die Anfechtung dieser bestätigenden Beschlussfassungen die Klagebefugnis fehlt! Damit erstarken die bestätigenden Beschlüsse zu wirksamen Beschlüssen, selbst wenn anfechtbare Inhaltsmängel vorgelegen haben.

Anders der BGH auf der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung zur Einziehung - hier verbleibt aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 14 GG) dem betroffenen Gesellschafter die Klagemöglichkeit, selbst wenn er bereits aus der Gesellschafterliste entfernt wurde. Die Einziehungsbeschlüsse waren sowohl in ursprünglicher Fassung als auch bei späterem bestätigendem Beschluss inhaltlich nichtig wegen Verstoß gegen § 30 GmbHG.

Im Unterschied zu o.g. anderen Beschlüssen konnte der auf die Einziehung gerichtete Beschluss nicht durch nachfolgende Beschlussfassung der übrigen Gesellschafter bestätigt und damit geheilt werden, weil ein nichtiges Rechtsgeschäft – im Gegensatz zum lediglich anfechtbarennicht bestätigt werden kann und damit zur Wirksamkeit verholfen werden kann.

Die Legitimationswirkung der Liste gem. § 16 GmbH ist von herausragender Bedeutung, sie gilt - trotz letztlich unwirksamer Einziehung - für die übrigen, anfechtbaren Beschlüsse. Nach unserem Dafürhalten haben die verbleibenden beiden Gesellschafter strategisch für ihre Zielverfolgung „einiges richtig gemacht“, während der Kläger bei abweichendem Vorgehen – soweit dies für uns aus der Urteilsbegründung ersichtlich ist – durchaus mehr aus seinem Fall hätte machen können.

 

3. ARBEITSRECHT

3.1. LAG Düsseldorf 12.03.2021: Urlaubskürzung bei Kurzarbeit

Die Klägerin klagte restliche, bisher nicht gewährte Urlaubstage des Jahres 2020 ein, das Unternehmen verweigerte dies unter Hinweis auf Kurzarbeit Null in den Monaten Juni, Juli und Oktober 2020. Der Arbeitgeber kürzte für diese drei Monate den Urlaubsanspruch jeweils um 1/12tel des Jahresurlaubsanspruchs. Das LAG bestätigte dies als richtig unter Verweis auf EuGH-Rechtsprechung, wonach Kurzarbeiter in dieser Konstellation wie Teilzeitarbeitnehmer anzusehen seien, denen ebenfalls nur im Verhältnis der Arbeitszeit zur Vollarbeitszeit Urlaub gewährt wird (z.B. Teilzeit in 4 Tagewoche – 16 Arbeitstage Mindesturlaub anstelle 20). Die Entscheidung ist zwar vordergründig konsequent, jedoch fragwürdig. Es besteht gerade keine gesetzliche Norm zum Verhältnis von Kurzarbeit zu Urlaub. So regelt bspw. § 9 BUrlG, dass während einer Erkrankung Urlaub nicht als genommen gilt. § 17 BEEG regelt die Kürzung von Urlaub bei Elternzeit. Aus unserer Sicht greift der Vergleich mit Teilzeit zu kurz. Bei Teilzeit richtet sich nämlich der Arbeitnehmer auf vertraglicher Grundlage von vorn herein darauf ein, nur eine bestimmte Arbeitszeit erbringen zu müssen und hierfür auch nur eine reduzierte Anzahl Urlaubstage nehmen zu müssen bzw. zu bekommen. Dies ist bei Kurzarbeit nicht vergleichbar der Fall. Kurzarbeit „erwischt“ Arbeitnehmer letztlich mehr oder weniger überraschend, ist damit nicht planbar. Auch wenn Arbeitnehmer während der Kurzarbeit Null nicht arbeiten müssen, ist immer möglich, dass sich dies kurzfristig ändert, weil wieder Arbeit zur Verfügung steht. Eine Erholung im eigentlichen Sinne der Urlaubsinanspruchnahme ist daher nicht vergleichbar möglich. Urlaubsreisen sind nicht längerfristig planbar, der Arbeitnehmer kann sich im Regelfall wegen der kurzfristigen Rückrufbarkeit und –erwartung uch nicht einfach für zwei, drei Wochen „ins Ausland absetzten“ zur „Urlaubs“-Inanspruchnahme während der Kurzarbeit. Die Gleichbehandlung mit der Kürzung mit Teilzeitarbeitskräften ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitnehmer für eine bestimmte Dauer darauf verlassen kann, dass diese Zeit bei Kurzarbeit Null belassen wird. Erst im Nachgang zu beurteilen, dass tatsächlich durchgehend keine Arbeitspflicht bestand und daher keine Urlaubsanspruch entstanden sei, ist nicht sachgerecht, weil dem Arbeitnehmer die Dispositionsbefugnis über seinen Urlaubsanspruch entzogen wird.

 

3.2. BAG 21.01.2021: Entgelttransparenzgesetz-Vermutung für geschlechterspezifische Minderzahlung einer Frau – Anpassung nach oben

Die klagende Abteilungsleiterin hatte Auskunft über den Median des Vergleichsentgelts männlicher Abteilungsleiter nach EntGTranspG vom Arbeitgeber erhalten und ein eigenes, geringeres Entgelt festgestellt. Sie verlangte Anpassung nach oben. Das BAG nimmt das Vorliegen einer geschlechterspezifischen Benachteiligung an. Es sieht die Vermutungswirkung des § 22 AGG als einschlägig an, wonach Indizien für die Annahme einer AGG widersprechenden Benachteiligung genügten, um die Vermutung für eine im AGG geregelte Benachteiligung (Geschlecht, Herkunft etc.) zu begründen. Dies kehrt die Beweislast um, konkret hat der sich Arbeitgeber also zu entlasten, warum keine geschlechterspezifische schlechtere Bezahlung vorliegt. Denkbar wäre hier aus unserer Sicht primär, dass sämtliche höher bezahlten Mitarbeiter der Vergleichsgruppe über manifeste Mehrqualifikationen verfügen oder spezifische Zusatzaufgaben haben etc.

 

3.3. ArbG Siegburg, 11.11.2020: Kurzarbeit ohne Regelung-Vergütungspflicht
Der Arbeitsgeber ordnete Kurzarbeit an, weder Arbeitsvertrag noch sonstige betriebliche Regelung enthielten aber eine Klausel zur Verpflichtung, Kurzarbeit zu leisten. Der Arbeitnehmer leistete weniger Arbeit, abgerechnet wurde eine als „Kurzarbeitergeld“ bezeichnete Vergütung. Der Arbeitnehmer kündigte selbst außerordentlich und klagte den vollen Lohn ein – lt. Arbeitsgericht zu Recht.
Ohne rechtliche Grundlage besteht keine Möglichkeit zur Verkürzung der Arbeitszeit unter Vergütungskürzung zu Lasten des Arbeitnehmers. Die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit fällt zunächst unter das klassische Betriebsrisiko des Unternehmers. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Entscheidung der Berufungsinstanz bleibt mit Spannung zu erwarten.

 

3.4. Arbeitsgericht Offenbach, 04.02.2021: Einstw. Verfügung Zugang zum Arbeitsplatz
Der Arbeitnehmer versuchte per einstweiliger Verfügung Zugang zum Werksgelände zu bekommen, um seine Arbeit fortzusetzen. Der Zutritt war ihm verwehrt worden, nachdem er die Teilnahme an einem PCR-Test verweigerte. Der Arbeitnehmer berief sich auf das Recht auf freie Selbstbestimmung, nur im Rahmen der hierdurch gezogenen Grenzen dürfe der Arbeitgeber sein Direktionsrecht ausüben. Etliche Arbeitnehmer des Betriebs, so auch der Kläger, hatten die Teilnahme an Schnelltests verweigert, der Betrieb kürzte den Lohn.

Das Arbeitsgericht ließ offen, ob durch eine Betriebsvereinbarung die Teilnahme an Schnelltests angeordnet werden dürfen oder nicht. Jedenfalls fehle es für die einstweilige Verfügung an der erforderlichen Dringlichkeit, den Betrieb seitens des Arbeitnehmers wieder betreten zu können um zu arbeiten.