2023 Newsletter coporate I

1. (INTERNATIONALES) HANDELS- und VERTRIEBSRECHT

BGH 06.10.2022: Zugang von Emails im geschäftlichen Verkehr

Der BGH griff einen alten Streitpunkt auf, wann eine Willenserklärung per Email im Geschäftsverkehr als zugegangen gilt. Die Klägerin machte mit anwaltlicher erster Email am 14.12. 09.16 Uhr Restwerklohnforderungen von 14 TEUR geltend. Mit zweiter Email der Anwälte von 09.56 Uhr stellten diese klar, dass in der Gelendmachung noch keine verbindliche Schlussrechnung liege, die Forderung also noch geprüft werde. Die Beklagte zahlte am 18.12. nur den in der Erstmail geltend gemachten Betrag. Die mit der später durch die Klägerin gesendeten Schlussrechnung mit höherem Betrag geltend gemachte Differenz beglich sie nicht. Das Gericht sah in der Erstmail ein Angebot zum Vergleichsschluss der Klägerin, welches die Beklagte durch Zahlung angenommen habe. Den Vorbehalt der anwaltlichen zweiten Mail, es könnten noch Nachforderungen kommen, ließ der BGH unbeachtet. Hierin läge weder eine Anfechtung noch ein Widerruf. Die erste E-Mail sei im geschäftlichen Verkehr dann dem Empfänger zugegangen, wenn sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen sei. Ein Widerruf der Erstmail war nach den Regeln des BGB nur möglich, solange sie noch nicht zugegangen war gem. § 130 BGB. „Der Umstand, dass die Annahme der Beklagten durch Zahlung am 18.12. zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem sie aufgrund der zweiten E-Mail der Klägerin vom 14.12. bereits Kenntnis davon gehabt habe, dass die Klägerin ihrerseits an dem Vergleichsangebot nicht habe festhalten wollen, könne - auch unter Berücksichtigung von Treu und Glauben - weder an der Annahmefrist noch an der Wirksamkeit der Annahme etwas ändern“, Da die Klägerin die Bindungswirkung Ihres Angebots in der Erstmail nicht beschränkt hat, müsse sie sich daran halten. Diese Email ist unmittelbar mit Eingang im Posteingangsserver zugegangen. Die Entscheidung zeigt einmal mehr die Grundsätze der Abgabe und Zugangs von Willenserklärungen nach BGB auf und räumt sicher auch mit der landläufigen Meinung auf, Willenserklärungen seien stets frei widerrufbar, solange hierauf noch nicht reagiert wurde. Dies ist eben nur möglich, wenn der Widerruf vor oder gleichzeitig bei Zugang bereits erfolgt ist. Maßgeblich sei für den Zugang per Email der Eingang in den Geschäftsbereich und die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu den üblichen Geschäftszeiten. Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails werden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser wird über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt ist der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen. Ein Widerruf ist dann ohne Vorbehalt nicht mehr möglich. 

 

BGH 17.10.2022: Vertragsstrafe nach Hamburger Brauch – Verjährung

Die Beklagte hatte gegenüber dem Urheber eines Fotos, dem Fotografen, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung nach Hamburger Brauch abgegeben, d.h., die Höhe der Vertragsstrafe solle bei Zuwiderhandlung durch den Gläubiger nach billigem Ermessen bestimmt werden und durch ein Gericht überprüfbar sein. Der Fotograf machte wegen Aufrechterhaltung der Nutzung des Fotos im Internet in 2014 die Vertragsstrafe gegen Ende 2016 geltend. Nach Zugangsvereitelung weiterer Zahlungsaufforderungen klagte er die Vertragsstrafe dann in 2019 ein, die Vorinstanzen hielten die Forderung aber für verjährt. Sie gingen vom Entstehen des Anspruchs auf Vertragsstrafe bereits mit Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung, also  mit Ablauf des Jahres 2014 aus, was zur konsequenten Annahme einer Verjährung Ende 2017 führen würde. Anders der BGH: im Unterschied zu einer fest vereinbarten Vertragsstrafe, bei welcher die Verjährung mit Verstoß gegen die Unterlassungspflicht beginne, sei hier die Festlegung der Höhe der Strafe durch Bezifferung seitens des Gläubigers maßgeblich für die Verjährung (Ende 2016), erst hierdurch werde der Anspruch einklagbar fällig. Zwar sieht auch der BGH, dass bei dieser Rechtseinordnung der Gläubiger beliebig bestimmen könne, wann die Verjährung zu laufen beginnt, indem er die Höhe der Strafe festlegt. Der hierdurch entstehenden Rechtsunsicherheit zu Lasten des Schuldners tritt der BGH mit dem Argument entgegen, der Gläubiger habe regelmäßig ein Interesse daran, durch die Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts die Fälligkeit und damit die Durchsetzbarkeit seines Vertragsstrafeanspruchs bald herbeizuführen Dieses rein faktische Argument überzeugt rechtlich wenig. Aus hiesiger Sicht wäre dem Hauptziel der Verjährungsvorschriften, Rechtsfrieden für beide Seiten zu schaffen, besser gedient, nicht von einem derartig beliebigen, allein im Gutdünken des Gläubigers stehenden Zeitpunkt auszugehen. Dieser ist beliebig verschiebbar über Jahre. Das weitere Argument des BGH, der Schuldner könne Klage auf  Bestimmung der Vertragsstrafe nach § 315 Abs.3 BGB erheben und durch Gestaltungsurteil die Höhe der Strafe festlegen lassen, erscheint reichlich außerhalb der Lebenswirklichkeit: welcher potentielle Schuldner klagt freiwillig um eine gegen ihn gerichtete Strafe der Höhe nach vollstreckbar festsetzen zu lassen? Freilich verweist der BGH auf den Einwand von Treu und Glauben, wenn der Gläubiger sich zu lange Zeit lässt. Die Festlegung wie im konkreten Fall mehr als 2,5 Jahre nach dem Verstoß zeigt aber die rechtlichen Unwägbarkeiten bereits auf, effektiv hielt der BGH einen strafbewehrten Verstoß aus 2014 als im Jahre 2019 noch nicht für verjährt. 

Überträgt man die Urteilsgründe auf wirtschaftlich relevantere Anwendungsfelder, z.B. die Vertragsstrafeforderung bei Geheimhaltungsverstoßen (Non-Disclosure-Agreements), vermag sich eine gewaltige Verzögerung der Ahnung von (behaupteten) Verstößen ergeben, welche zu mehrjährig nachlaufenden prozessualen Auseinandersetzungen mit erheblichen Klageforderungen führen mag. 

 

2. GESELLSCHAFTSRECHT

BFH v. 28. September 2022: Gewinnausschüttung auf Basis satzungsdurchbrechendem Beschluss

Die streitbefangene GmbH schüttete über Jahre auf Grundlage eines jeweiligen Gesellschafterbeschlusses jeweils nur an einen der Gesellschafter Vorabgewinne aus. Die Satzung sah eine derartige disquotale Ausschüttung nicht vor, sie enthielt vielmehr gar keine Regelungen. Das Finanzamt besteuerte Entnahmen auch bei dem Gesellschafter, welcher gar keine Ausschüttungen erhielt. Dies mit der Maßgabe, die Gewinnverwendungsbeschlüsse seien zivilrechtlich unwirksam. Der BFH differenzierte zwischen satzungsdurchbrechenden Beschlüssen mit Dauerwirkung (regelmäßig nichtig) und nur punktuellen satzungsdurchbrechenden Beschlüssen, welche sich mit der betroffenen Maßnahme erschöpfen. Letztere seien lediglich anfechtbar. Da sie keine Änderung der Satzung auf Dauer bezwecken bedürfen sie nicht zwingend der notariellen Form und seien deshalb auch nicht nichtig, sofern – wie meistens in diesen Konstellationen – die notarielle Form nicht eingehalten wurde. Sofern sie nicht angefochten seien durch einen Gesellschafter haben sie volle zivilrechtliche Wirksamkeit. Mit dieser Maßgabe waren die, in Abweichung von der Satzung vorgenommenen Gewinnausschüttungsbeschlüsse wirksam, eine Besteuerung nach § 20 EStG kam nur beim tatsächlichen Empfänger in Betracht. 

 

BGH 06.12.2022: Rückgängigmachung eines sittenwidrig erwirkten Gesellschafterbeschlusses

Im Zusammenhang mit der Beendigung eines Treuhandverhältnisses bewirkte ein Geschäftsführer die Änderung der Gesellschafterliste zu Lasten der Klägerin, indem deren GmbH-Anteil von 20.000 EUR nicht mehr ihr zugeordnet, sondern beide Anteile (20k und 5k) als von der Beklagten gehalten ausgewiesen wurde. Die Klägerin erwirkte per einstweiliger Verfügung einen Widerspruch zur Gesellschafterliste. Die Beklagte hielt trotzdem eine Gesellschafterversammlung ohne Ladung der Klägerin ab und beschloss die Änderung der Satzung wonach künftig für die Beschlussfähigkeit  und Beschlussfassung je 85 % erforderlich seien. Die Zielrichtung war offenkundig: die Klägerin solle selbst bei „Rückerlangung“ ihres 20.000 EUR Anteils (80 % der Anteile)  nicht mehr ohne zwingende Mitwirkung der Beklagten entscheiden können. Diese Änderung der Satzung wurde im Nov. 2011 in das Handelsregister eingetragen. Die Klägerin erhob erst Ende 2016 Beschlussmängelklage – erfolglos. Nach anderweitiger rechtskräftiger Feststellung in 2016, dass die Klägerin materiell nach wie vor Inhaberin des Anteils von 20.000 EUR, erhob die Klägerin im gegenständlichen Verfahren Klage auf Rückgängigmachung der durch die Beklagte allein durchgeführten Satzungsänderung von 2011 im Wege des Schadensersatzes. Der BGH hielt das Rechtsschutzbedürfnis für gegeben. Zwar könne die Klägerin nicht mehr durch Nichtigkeitsfeststellungsklage die Satzungsänderung zu Fall bringen, weil drei Jahre nach deren Eintragung in das HR eine solche Änderung als geheilt gilt (§ 242 AktG analog). Jedoch habe die Beklagte eine unerlaubte Handlung begangen, mit der sie die Mitgliedschaftsrechte der Klägerin verletzt und sie zugleich vorsätzlich sittenwidrig schädigte. Der Fristablauf des § 242 AktG stehe nicht entgegen, weil sich die begehrte „Rückänderung“ der Satzung nur für die Zukunft auswirke (m.a.W. sind die in der Zwischenzeit durch die Beklagte gefassten Beschlüsse als wirksam anzusehen!). Das Verhalten der Beklagten sei als sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB einzuordnen. Beklagte hat zur Änderung der Satzung eine formale Rechtsposition ausgenutzt, weil die Gesellschafterliste sie der materiellen Rechtslage zuwider als Inhaberin auch des Geschäftsanteils Nr. 1 auswies. Nur deshalb konnte die Gesellschafterversammlung vom 20. Oktober 2011 ohne Ladung der Klägerin abgehalten werden. Deshalb sei trotz der fehlenden gesellschaftsrechtlichen Anfechtbarkeit des Satzungsänderungsbeschlusses wegen Heilung die Geltendmachung des auf die Zukunft gerichteten Satzungsänderungs- (rückgängigmachungs-) Begehrens wegen sittenwidrigen Handels der Beklagten zulässig. Der Umstand, dass die Klägerin bei Änderung der Satzung nicht mehr in der Gesellschafterliste eingetragen war entfaltete nur formelle Legitimationswirkung nach § 16 GmbHG, die materiellrechtliche Gesellschafterstellung als solche und ihr Schutz vor sittenwidriger Schädigung durch einen Mitgesellschafter bleibt von ihr unberührt.

 

2.1 OLG Celle 12.09.2022 – Beschwerde gegen Änderung Gesellschafterliste

Nach streitiger Abberufung des Geschäftsführers und Streit über die Wirksamkeit der Einziehung seines Anteils reichte die GmbH eine geänderte Gesellschafterliste zum Handelsregister ein, der Betroffene legte gegen die Ankündigung des Handelsregisters, die Liste aufnehmen zu wollen, Beschwerde ein. Das HR hatte die Eintragung des GF-Wechsels ausgesetzt und dem Betroffenen eine Frist gesetzt, eine einstweilige Verfügung zur Nichtaufnahme der geänderten Liste zu erwirken. Gegen diese Aufforderung wendete er sich mit seiner Beschwerde an das HR mit dem Ziel, die Aufnahme der geänderten Gesellschafterliste zu unterlassen. Das OLG bescheinigte dem Antragsteller, den falschen Weg gewählt zu haben, die Aufforderung des HR sei schon keine beschwerdefähige Entscheidung. Lediglich die Ablehnung eines Eintragungsantrags sei beschwerdefähig, nicht aber die Aufnahme der Liste als solche. Die Beschwerde wurde zurück gewiesen. Richtiger Rechtbehelf wäre die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung gegenüber der GmbH selbst gewesen, um die Aufnahme der Liste (einstweilige) zu stoppen. Die ggf. fehlerhafte Liste entfaltete mit Aufnahme zunächst Wirkung

 

3. ARBEITSRECHT

BAG 22.09.2022: Schadensersatz bei Verstoß gegen Nachweisgesetz

Der Kläger machte ausstehende Vergütungsansprüche geltend, das Unternehmen trat dem im Wesentlichen unter Verweis auf eine bestehende Ausschlussfristenregelung entgegen. Hiernach wären die Ansprüche verfallen gewesen. Ein Hinweis des Arbeitgebers auf die Ausschlussfristen nach dem Nachweisgesetz in der bis 31.07.2022 geltenden Fassung war jedoch nicht erfolgt. Der Kläger verlangte deshalb Schadensersatz in Geld genau in Höhe der von der Ausschlussklausel betroffenen Vergütungsansprüche. Das BAG erkannte zwar den Verstoß gegen die Nachweispflichten an, hielt diesen ab nicht für kausal (ursächlich) für den entstandenen Schaden. Zwar bestehe eine Vermutung, dass der Arbeitnehmer sich bei entsprechendem Nachweis auch hiernach gerichtet hätte, sprich die Ausschlussfrist gewahrt worden wäre. Den letztendlichen Nachweis müsse aber der Arbeitnehmer im Prozess bringen. Dem sei er nicht gerecht geworden. In der Tat hatte der Kläger unglücklich vorgetragen, er habe die offenen Ansprüche über „mehrere Jahre nicht bemerkt“. Hiermit manövrierte er sich selbst ins Abseits, weil er damit offenkundige Zweifel an der alleinigen Ursächlichkeit des Nichtnachweises schürte, sprich die Vermutung der Einhaltung der Ausschlussfrist bei ordnungsgemäßem Nachweis erschütterte. Spiegelbildlich zeigt das Urteil deutlich das Risiko für Unternehmen, welches aus Nichteinhaltung der – seit 01.08.2022 noch einmal gesteigertenNachweispflichten resultieren kann. 

 

LAG Niedersachsen, 12.10.2022: Rückzahlung Fortbildungskosten

Die Parteien streiten um die Rückzahlung von Fortbildungskosten. Diese sollte nach der Vereinbarung erfolgen, wenn arbeitnehmerseitig veranlasst. So unter anderem für das Nichtbestehen der Prüfung, das Ausscheiden aus der Fortbildungsmaßnahme und der Beendigung Arbeitsverhältnisses noch vor Ablegen des der Prüfung. Die Arbeitnehmerin kündigte selbst, man in der einigte sich vertraglich auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das Unternehmen forderte 5000 EUR aufgewandte Fortbildungskosten zurück. Hiergegen hatte das LAG keine Bedenken, es ließ jedoch die Revision zu. Eine unangemessene Benachteiligung nach AGB-Recht (§ 307 BGB) verneinte das LAG. Dies jedenfalls soweit die Rückzahlungsverpflichtung eine Beendigung nicht erfasst, welche durch den Arbeitgeber veranlasst wurde. Das LAG spricht insofern davon, wegen „vorzeitiger Beendigung der Fortbildungsmaßnahme seien die durch den Arbeitgeber aufgewandten Beträge und die damit verbundene arbeitgeberseitige Hoffnung vollständig frustriert“. Die BAG Entscheidung bleibt mit Spannung zu erwarten. 

 

LAG Schleswig-Holstein 27.9.2022: dienstliche Mitteilung in der Freizeit?

Der als Notfallsanitäter tätige Kläger sollte durch kurzfristige Dienstplanänderung eingeteilt werden. Der Kläger war jedoch weder telefonisch noch per SMS zu erreichen. Er meldet sich erst wieder zu seinem ursprünglich geplanten Dienstbeginn. Hierauf erteilte der Arbeitgeber eine Abmahnung. Diese ist, so das LAG, unbegründet. Es lag kein unentschuldigtes Fehlen am Arbeitsplatz vor. Mit der Kenntnisnahme der entsprechenden SMS sei nicht an dem Tag der Dienstplanänderung, sondern erst am Tag des regulären nächsten Dienstbeginn zu rechnen. Den Kläger treffe keine Verpflichtung, in seiner Freizeit dienstliche SMS aufzurufen oder sich über seine Arbeitszeit zu informieren. Das LAG argumentiert geradlinig: das Lesen der SMS sei eine Arbeitsleistung, mithin Arbeitszeit. Diese könne der Arbeitgeber nicht fordern, wenn dies nicht vereinbart ist. Wenn diese Arbeitszeit also nicht erbracht werden muss durch Lesen der SMS, komme eine Verpflichtung zur Arbeitsleistung diesbezüglich nicht in Betracht, was auch die inhaltliche Umsetzung der SMS hindert. 

 

Gern weisen wir auf unsere Veranstaltungen zum „Update Arbeitsrecht I 2023“ am 15.03. und 16.03.2023 hin (Information und Anmeldung unter www.heinze-legal-coaching.de).