Newsletter corporate 2024 I

1. (INTERNATIONALES) HANDELS- und VERTRIEBSRECHT

1. US District Court Northern Texas, Aug. 20, 2024: FTC Regeln zur Unwirksamkeit von Wettbewerbsverboten in US-Anstellungsverträgen nichtig

Seitens der US Federal Trade Commission wurden im April 2023 erhebliche Restriktionen zur Vereinbarung von non-compete-clauses mit Arbeitnehmern erlassen, welche Wettbewerbsverbote im Wesentlichen untersagt, jedenfalls aber deutlich erschwert. Für Senior Executives gelten abweichende Regelungen sofern es ich um bereits existierende, d.h. zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der FTC Final Rules bereits vereinbarte non-compete-clauses handelt.

Mit Urteil vom 20. August 2024 des District Court for the Northern District of Texas wurden die FTC Rules für unwirksam befunden. Das Gericht betont zwar die Verantwortlichkeit der FTC für die Überwachung unfairer Wettbewerbsmethoden, sieht jedoch diese Gestaltungskompetenz im konkreten Fall als überschritten an, weil die FTC Regelungen substantiellen, gesetzesähnlichen Vorschriften nahe kommen. Diese Sichtweise gewann das Gericht u.a. daraus, dass keine Sanktionen im Regelungswerk enthalten sind, was ansonsten regelmäßig bei entsprechenden, echten Gesetzesinitiativen der Fall wäre (the lack of a statutory penalty for violating rules promulgated under Section 6(g) demonstrates its lack of substantive rulemaking power). Denn in Fällen, in welchen der Congress Gesetzgebungskompetenz etablieren wolle, sehe er immer auch die Befugnis zur Formulierung von sanctions for violations of the agency’s rules vor. Wo dies nicht gegeben sei, könne die FTC auch keine materiell rechtlichen Verpflichtungen der Vertragspartner  kreieren. (It is axiomatic that an administrative agency’s power to promulgate legislative regulations is limited to the authority delegated [to it] by Congress.Aber auch inhaltlich beanstandet das Gericht die Vorgehensweise der FTC: The Rule imposes a one-size-fits-all approach with no end date, which fails to establish a rational connection between the facts found and the choice madeIm Ergebnis erklärte das Gericht das Regelungwerk für unwirksam, was das Inkrafttreten zum 04.09.2024 „nationwide“ hindere. Das Urteil ist anfechtbar. Bis zum Erlass einer endgültigen Entscheidung bleiben damit Wettbewerbsverbotsregelungen in Anstellungsverträgen in den USA jedenfalls von den Beschränkungen der FTC Final Rules aus April 2023 vorläufig verschont. 

 

2. GESELLSCHAFTSRECHT

 

2.1. OLG Brandenburg, 02.01.2024: Bestellung Geschäftsführer - unbekannte Erben

Der Anteilseigner und Alleingeschäftsführer einer 2-Personen-GmbH mit 12.750 EUR des Kapitals verstarb, die verbleibende Gesellschafterin mit einem Anteil von 12.250 EUR berief eine Gesellschafterversammlung ein, ohne die – ihr unbekannten - Erben zu laden und berief sich selbst zur Geschäftsführerin. Sie begehrte ihre Eintragung und Löschung des vormaligen Geschäftsführers zum Handelsregister, dieses verweigerte die Eintragung. Das Handelsregister  hatte angeregt, eine Nachlasspflegschaft zu bewirken und den Pfleger zur Gesellschafterversammlung zu laden. Die Antragstellerin berief sich darauf, dass die Stimmrechte wegen Todes ruhen. Sie berief sich darauf, dass sie ohnehin ein Übernahmerecht hätte von den Erben. Das OLG hielt die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung für nichtig aufgrund Einberufungsmangel. Das Recht zur Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen ist auch bei Ruhen der Gesellschafterrechte generell nicht entziehbar, nicht zuletzt, weil die Einberufung und Beschlussfassung über sämtliche Angelegenheiten zulässig wäre, ohne dass die Erben Kenntnis von den Beschlussfassungen erlangen.

2.2. BGH, 09.01.2024: Abberufung Geschäftsführer GmbH, Rechtsschein des Handelsregister nach § 15 HGB

Die GmbH hatte als wesentlichen Vermögensgegenstand ein Grundstück2017 erklärte der Geschäftsführer für die GmbH in einem „letter of guarantee“, die GmbH werde keine Verfügung hierrüber ohne Zustimmung der Mehrheitsgesellschafterin (16.250 EUR) vornehmen. Der Geschäftsführer wurde mit Stimmen der Mehrheitseignerin in 2018 abberufen, jene betrieb auch die Einziehung des Minderheitsgeschäftsanteils von 8.750 EUR. Nachfolgend verkaufte die GmbH, vertreten durch den abberufenen Geschäftsführer, das Grundstück, die Mehrheitseignerin focht an und verlange Zustimmung zur Löschung der eingetragenen Auflassungsvormerkung. Das OLG hielt die GmbH für wirksam vertreten beim Grundstücksverkaufweil die Abberufung des Geschäftsführers nichtiggewesen sei. Dies weil die Mehrheitseignerin kein Selbsthilferecht zur Einberufung der Versammlung nach § 50 III GmbHG gehabt habe. Der BGH sah dies anders. Denn der Geschäftsführer hatte auf Verlangen zunächst eine Versammlung einberufen, allerdings ohne ordnungsgemäße Unterschrift und damit nicht dem Schriftformerfordernis entsprechend. Die Mehrheitseignerin musste hier kein zweites Einberufungsverlangenan den Nochgeschäftsführer richten – das Selbsthilferecht steht ihr bereits nach unwirksamer Ersteinladung zu. Damit scheitert die  Abberufung jedenfalls nicht an der mangelnden Einladung, wie das OLG annahm.

Der BGH geht maßgeblich davon aus, dass die GmbH die Verkaufserklärung des (abberufenen) Geschäftsführers nach § 15 HGB (Publizität des Handelsregisters) gegen sich gelten lassen muss. Die Abberufung des Geschäftsführers ist eine eintragungspflichtige Tatsache. Selbst die Kenntnis des Grundstückerwerbers vom – in seiner materiellen Wirksamkeit streitigen - Abberufungsbeschluss hindere nicht per se. Das Gericht meint, zwischen Kenntnis vom Abberufungsbeschluss und der Kenntnis von der wirksamen Abberufung differenzieren zu müssen und zu können. Es komme hierfür darauf an, ob die erlangte Kenntnis der Umstände im Einzelfall geeignet ist, zwingend positive Kenntnis der Unrichtigkeit der Eintragung zu vermitteln, was die GmbH zu beweisen hätte. Schon wenn der Geschäftsführer sich gerichtlich gegen die Abberufung wehrt, könne dies Zweifel an der wirksamen Abberufung begründen. Aus unserer Sicht führt dies sehr weit, lassen sich doch fast immer Zweifel an der Wirksamkeit begründen – unsere jahrzehntelange Erfahrung in Anfechtungsstreitigkeiten zur Abberufung lässt diese These halten.

Der BGH „rettet“ über das Instrument des Missbrauchs der Vertretungsmacht. Sofern beim Vertragspartner – hier Grundstückserwerber – massive Verdachtsmomente aufkommen mussten, welche die Notwendigkeit einer Rückfrage bei dem Vertretenen geradezu aufdrängt, komme ein solcher Missbrauch in Frage. Hierzu wies der BGH an das OLG zur weiteren Aufklärung zurück, der Grundstückserwerber hatte behauptet, auf den Rechtsrat des Notars vertraut zu haben, der Grundstückserwerb bedürfte auf Verkäuferseite keines Gesellschafterbeschlusses der Verkäuferin, was aber objektiv zweifelhaft und beweisbedürftig ist, handelte es sich bei dem Grundstück doch um den wesentlichen Vermögensgegenstand der GmbH – mithin ein Grundlagengeschäft außerhalb der regulären Geschäftsführung (des abberufenen Geschäftsführers). 

3. ARBEITSRECHT

3.1. ArbG München, 11.07.2024, „Weihnachtsgeld“ trotz Kündigung

Der Arbeitsvertrag sah die Zahlung einer Sonderzahlung unter Bezugnahme auf den Manteltarifvertragvor, der MTV regelte: „…erhalten im letzten Quartal des Kalenderjahres eine Sonderzahlung von 80 % des Bruttomonatsgehalts, sofern das Arbeitsverhältnis nicht im Auszahlungszeitpunkt gekündigt ist, außer im Falle betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung…“. Die Klägerin kündigte am 26.09. zum 31.12.2023. Die textliche Voraussetzung zum Ausschluss von der Sonderzahlung lag also vor. Das ArbG sprach die Sonderzahlung trotzdem zu. Zwar seien Regelungen in Tarifverträgen privilegiert in ihrer Ausgestaltbarkeit, eine Überprüfung solcher Regelungen finde nach AGB Recht gem. § 310 BGB nicht statt. Jedoch sei diese Privilegierung aufgehoben, wenn nur einzelne tarifliche Regelungen in Bezug genommen werden und nicht das tarifliche Gesamtwerk. So lag der Fall, das Arbeitsgericht unterzog deshalb die tarifliche Ausschlussregelung der AGB Kontrolle und befand, die Sonderzahlung habe einen Mischcharakter, also nicht lediglich einen Treue- und Motivationseffekt (Gratifikation) sondern auch die Entlohnung für geleistete Arbeit als Gegenstand (Entgelt). Entlohnungskomponenten können nicht durch AGB(Arbeitsvertrag) davon abhängig gemacht werdenob das Arbeitsverhältnis gekündigt sei oder nicht

Dieser Sicht wiese ist uneingeschränkt zuzustimmenWir klagen gegenwärtig vor dem LAG Nürnberg in einem ähnlichen Fall zur Frage der Überprüfbarkeit von in Bezug genommenen tariflichen Regelungen nach AGB-Recht mit dem Ziel der Klärung dieser Frage durch das BAG

3.2.) LAG Berlin/Brandenburg, 05.07.2024, Handballspielen - AUB/ Beweiswert

Der Kläger legte eine AUB ab 27.10.2022 vor bis 10.11. verlängert über Folgebescheinigung bis 30.11. Er erhielt Entgeltfortzahlung. Im Nachhinein stellte sich eine Freizeitaktivität durch Teilnahme an einem Handballspiel am 09.11. als Spieler und 19.11. als Schiedsrichter heraus. Weil das Unternehmen auf dieser Basis den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für erschüttert hielt, forderte es geleistete Entgeltfortzahlung mit der Klage zurück. Abweichend von der ersten Instanz hielt das LAG Berlin/Brandenburg den Beweiswert für erschüttert und gab der Klage statt. Weil der Mitarbeiter nicht zu den konkreten Umständen der Erkrankung vorgetragen habe, gelte der Vortrag des Unternehmens zur Erschütterung des Beweiswertes als zugestanden. Das LAG suchte hiermit die Lösung des Falles auf prozessualem Wege. Das ist zutreffend, denn das Unternehmen kann im Rückforderungsprozess konkrete Krankheitsumstände nur widerlegenwenn es hierrüber Kenntnis, sei es durch den Prozessvortrag des Mitarbeiters oder auf anderem Wege, hat. Zur Verpflichtung konkreten Prozessvortrags nach § 138 Abs. 2 ZPO gehört der Vortrag, warum der Mitarbeiter entschuldigt gefehlt habe. Im Regelfall kann dieser über den hohen Beweiswert der AUB abgekürzt werden. Jedenfalls dann, wenn der Beweiswert der AUB erschüttert ist, so wie hier aufgrund Indizien gegen eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund der konkreten Sportaktivitäten – wettkampfmäßiges Handballspielen setze ein robuster körperliche Verfassung voraus – hat der Mitarbeiter mehr vorzutragen. Hinzu kam hier die Entsprechung der Dauer der AU zur Kündigungsfrist und die Abweichung des behandelnden Arztes von der Regel, nicht länger als 14 Krankschreibung vorzunehmen. Mangels Entgegentreten gegen diese die Erschütterung der AUB bewirkenden Indizien seitens des Mitarbeiters galt der Vortrag des Unternehmens als zugestanden und damit als alleinig maßgeblicher Prozessvortrag

3.3. BAG 23.04.2024, Körperreinigung - vergütungspflichte Arbeitszeit?
Ein Containermechaniker, welcher infolge Schleifarbeiten während der Arbeitszeit erheblich körperlich verschmutzte, machte 55 min. je Arbeitstag als vergütungspflichtige Arbeitszeit für Umkleide-, Körperreinigungs- und Wegezeiten geltend, über die Jahre 2017 – April 2022 kumuliert mit einem Zahlungsantrag über 25.254 EUR. Das BAG sieht durch aus eine Vergütungspflicht als denkbar an nach § 611a Abs. 2 BGB. Zwar sei, so die Beklagte, das Duschen weder angewiesen noch aus Gründen des Gesundheitsschutzes erforderlich. Das BAG knüpft differenzierter daran an, in welchem Grad das Duschen mit der eigentlichen Arbeitsleistung verknüpft ist. Dies kann gegeben sein, sofern sich der Arbeitnehmer bei seiner geschuldeten Arbeitsleistung z.B. so sehr verschmutzt, dass ihm ein Anlegen der Privatkleidung, das Verlassen des Betriebs und der Weg nach Hause - sei es durch Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs oder des eigenen Fahrzeugs - ohne eine vorherige Reinigung des Körpers nicht möglich erscheint und damit der Gesamtvorgang - arbeiten und duschen - fremdnützig ist. Nicht jede im Verlauf eines Arbeitstags auftretende Verschmutzung „erfordert“ damit ein Duschen, das in unmittelbarem Zusammenhang mit den vom Arbeitgeber zugewiesenen Tätigkeiten steht. Das BAG differenziert olfaktorisch feinsinnig: das Waschen zur Beseitigung üblicher Verunreinigung und Körpergeruchsbildung dient der Befriedigung privater Bedürfnisse; es ist nicht ausschließlich fremdnützig und damit nicht vergütungspflichtig. Darüber hinausgehende Verunreinigungeinschließlich olfaktorische Belästigung haben den erforderlichen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung, so z.B. wenn der Arbeitnehmer sehr stark schmutzende Tätigkeiten oder Arbeiten mit stark geruchsbelästigenden Stoffen ausübt, er bei seiner Tätigkeit eine körpergroßflächige persönliche Schutzausrüstung trägt oder er Tätigkeiten unter besonderen klimatischen Bedingungen oder bei Nässe verrichtet. Um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt es sich zudem dann bei dem An- und Ablegen einer  vorgeschriebenen und nur im Betrieb zu tragenden Dienstkleidung. Das Umkleiden ist in diesem Fall ausschließlich fremdnützig. 

Auch die Wegezeiten vom Werktor zur Umkleide und zur Dusche und zurück erkennt das BAG als vergütungspflichtig an, penibel hatte das LAG die 40 m Wegstrecke von der Umkleide zum Arbeitsplatz und zurück mit 1 min. Wegezeit geschätzt. Denn der Kläger hatte nicht die Möglichkeit, die Arbeitskleidung am Arbeitsplatz an- und abzulegen, sondern muss dafür den räumlich getrennten Umkleideraum aufsuchen.