Newsletter corporate 2025 I (Internationales) Vertragsrecht, GmbH-Recht, Arbeitsrecht
1. (INTERNATIONALES) HANDELS- und VERTRIEBSRECHT
1.1. EuGH vom 27.02.2025: Asymmetrische Gerichtsstandklauseln
Die Parteien, eine französische SARL und eine italienische SpA hatten die Lieferung von Verkleidungspaneelen vereinbart für Bauleistungen. Sie sahen sich Haftungsklagen des Endkunden ausgesetzt. Der Vertrag der französisch-italienischen Partner sah eine Gerichtsstandklausel vor, wonach für Streitigkeiten das Gericht in Brescia zuständig sein sollte, die italienische Partei darüber hinaus aber auch das einseitige Recht haben sollte, „vor einem anderen zuständigen Gericht in Italien oder im Ausland vorzugehen“. Durch den EuGH war die Frage zu klären, ob diese Klausel einer Streitverkündung des französischen Unternehmens an die italienische Partei vor einem französischen Gericht entgegen stand. Französische Gerichte sind bei der Klauselbeurteilung eher streng und lassen asymmetrische Klauseln tendenziell weniger zu als italienische Gerichte.
Der EuGH ging von einer europäisch-autonomen Auslegung der maßgeblichen Vorschrift der Brüssel-1a-VO (Art.25) aus und bezog die dort genannte Möglichkeit der „materiellen Nichtigkeit“ derartiger Gerichtsstandklauseln im Wesentlichen auf Willensmängel bei der Klauselvereinbarung, nicht aber auf eventuelle Ungenauigkeiten in der Formulierung zum konkreten Gericht. Der EuGH favorisiert eine Auslegung der Nichtigkeitsregelung weg von differierenden Bestimmungen der einzelnen Mitgliedstaaten hin zu einer möglichst einheitlichen Handhabung unter europäischem Blickwinkel. Die der italienischen Seite deutlich weitergehende Rechte bei der Wahl des anzurufenden Gerichts einräumende Klausel war daher wirksam. Ein einseitiges Wahlrecht zu Gunsten der Gerichte in verschiedenen Ländern ist damit im Rahmen von cross-border Lieferverträgen grundsätzlich möglich, jedenfalls sofern es sich um Mitgliedsstaaten der EU oder des Luganer Abkommens handelt.
2. GESELLSCHAFTSRECHT
2.1. BGH, 22.05.2025: Zahlung Sozialbeiträge durch GmbH- Insolvenzanfechtung
Die GmbH war mit der Zahlung von Sozialbeiträgen für Februar im Verzug, die Behörde mahnte am 03.03. an mit Aufforderung zur Zahlung bis 12.03. Das Schreiben war freundlich gehalten („Bitte denken Sie an Ihre Beitragszahlung“), enthielt aber auch den Hinweis: „Andernfalls müssten wir die Beiträge im Rahmen der Zwangsvollstreckung einziehen lassen.“ Die GmbH leistete am 17.03. Auf Eigenantrag vom 05.06. eröffnete das Insolvenzgericht am 01.08. das Insolvenzverfahren, der Insolvenzverwalter focht die Zahlung vom 17.03. an wegen inkongruenter Deckung, die herangezogene Norm des § 131 I Nr. 2 InsO lautet: …wenn die Handlung innerhalb des zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war“
Im Gegensatz zu den Vorinstanzen hielt der BGH die Anfechtung grundsätzlich für berechtigt, weil die GmbH bereits unter Vollstreckungsdruck geleistet habe. Noch anders das OLG: „das Schreiben der Beklagten an die Schuldnerin habe keine Inkongruenz der angefochtenen Zahlung herbeiführen können, es gehe es nicht über eine einfache Mahnung hinaus und habe bei der Schuldnerin (GmbH) nicht zwangsläufig die Erwartung hervorrufen müssen, dass die Zwangsvollstreckung umgehend stattfinde, wenn sie nicht zahle.“
Sollte sich im Wege der Zurückverweisung an das OLG vorzunehmenden weiteren Aufklärung die Anfechtung endgültig als berechtigt erweisen, hätte die Sozialbehörde den Zahlbetrag in die Insolvenzmasse zurück zu zahlen.
Die Situation ist gedanklich auch auf Vorfälle im Handelsverkehr übertragbar und zeigt wie sensibel im Krisenszenario der GmbH zu prüfen ist, ob eine Zahlung insolvenzrechtlich der Gefahr der Rückforderung ausgesetzt ist oder nicht.
Ist sodann die Zahlung zwar grundsätzlich in die Insolvenzmasse zurück zu führen, kann die Zahlung vom Zahlungsempfänger nicht erlangt werden, z.B. wegen dessen eigener Leistungsunfähigkeit (wie hier nicht vorliegend, da Sozialbehörde als Rückzahlungsschuldner), knüpft sich unmittelbar die Frage der persönlichen Haftung des Geschäftsführers der GmbH für die Zahlung an.
2.2. BGH, 11.02.2025: Vorlage EuGH, Haftung Geschäftsführer für Bußgelder, D&O Versicherung, Kartellschaden
Der Beklagte war Geschäftsführer einer GmbH welcher durch das Bundeskartellamt eine gegen Art. 101 AEUV verstoßende Beteiligung an Preisabsprachen vorgeworfen wurde. Das seitens des Kartellamts verhängte Bußgeld in Höhe von 4,1 Mio. EUR verlangt die GmbH im Regresswege gem. § 43 GmbHG vom beklagten Geschäftsführer ersetzt. Nach den gesetzlichen Vorgaben hat der GF dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält. Insofern ist also irrelevant, ob das, dem Geschäftsführer vorgeworfene Verhalten grundsätzlich der GmbH nützt und ihr damit dienlich ist.
Klärungsbedürftig ist nach Sicht des BGH, ob § 43 GmbHG die „Weitergabe“ einer Verbandsbuße zulässt oder ob diese Norm einschränkend auszulegen ist. Dies deshalb, weil nach einer vertretenen Rechtsauffassung „der Ahndungszweck des Bußgeldes, dem Unternehmen in Reaktion auf den Gesetzesverstoß mit der Buße einen Nachteil zuzufügen verfehlt würde. Der adressierte Nachteil soll in der mit dem Bußgeld verfolgten Abschöpfung der, durch den Verstoß erzielten Vorteile liegen. Wenn aber die Gesellschaft die Buße auf den Geschäftsführer abwälzen könne, gerade bei Tragung durch eine abgeschlossene D&O-Versicherung, verbliebe nämlich keine Abschöpfungswirkung.“
Der BGH seinerseits vermisst eine ausreichende Klarheit im deutschen Recht, wonach eine Begrenzung der Haftung des Geschäftsführers gewollt sei. Auch wenn der Geschäftsführer getrennt vom „korporativen Bußgeld“ einem direkten, hier durch das Kartellamt mit 126.000 EUR ihm gegenüber zusätzlich persönlich gem. § 9 OwiG festgesetzten Bußgeld ausgesetzt ist, spreche dies nicht zwingend dafür, dass das „korporative Bußgeld“ bei der Gesellschaft zu verbleiben habe und deshalb nicht gemäß § 43 GmbHG durch den Geschäftsführer zu ersetzen sei.
Auch die potentielle Ableitung auf die D&O Versicherung sei kein Argument, gegen die Inanspruchnahme des Geschäftsführers, spiele doch hier insbesondere der Verschuldensgrad eine maßgebliche Rolle für die Eintrittspflicht der Versicherung. Angesichts der vielfältigen Fallgestaltungen, ggf. beschränkter Deckungssummen der von ihr zu Gunsten des Leitungsorgans abgeschlossenen D&O-Versicherungen und dort vereinbarter Haftungsausschlüsse und nicht zuletzt wegen einer begrenzten persönlichen Leistungsfähigkeit des Leitungsorgans werde die Gesellschaft ggf. nur teilweise entlastet. Daher kann je nach Fallgestaltung ein wirksamer und abschreckender Betrag bei der Gesellschaft verbleiben.
Gleich in welche Richtung der EuGH die Vorlagefrage der Begrenzung des § 43 GmbHG durch europarechtliche Vorgaben beantwortet, wird sich mit dem zu erwartenden Urteil des EuGH die Frage nach der Haftung von Geschäftsführern mit dem Privatvermögen zukünftig prognostisch verbindlicher beantworten lassen als bisher. Die EuGH Sicht bleibt mit Spannung zu erwarten.
3. ARBEITSRECHT
3.1. LAG Niedersachsen, 22.5.2025 – Freistellung während Kündigungsfrist, Entschädigung Dienstwagen
Der Kläger kündigte sein seit Januar 2022 bestehendes Arbeitsverhältnis zum 30.11., die Beklagte stellte ihn frei per 31.05. mit der Aufforderung, den Dienstwagen zum 30.06. zurück zu geben. Der Arbeitsvertrag enthielt die Klausel zur Rückgabepflicht bei Freistellung während der Kündigungsfrist. Das LAG sprach für den Freistellungszeitraum Nutzungsausfallvergütung für Juni-November in Höhe von jeweils 510 EUR brutto je Monat zu. Es hielt die erfolgte Freistellung für unwirksam mit Begründung eines Verstoßes gegen AGB-Recht, weil der Beschäftigungsanspruch des Mitarbeiters auch während der Kündigungsfrist wirke. Diesen Anspruch könne der Arbeitgeber einseitig nur zu Fall bringen, wenn er die Gründe hierfür explizit im Arbeitsvertrag benenne. Hieran fehlte es, mangels wirksamer Freistellung war auch die Nutzungsausfallentschädigung zu zahlen.
Die Revision zum BAG ist allerdings zugelassen, wir erwarten hier ein abweichendes Ergebnis. Bis dahin gilt es im Ergebnis der Entscheidung des LAG Niedersachsen entsprechende Freistellungsklauseln sorgfältig zu formulieren um ein derartig nachteiliges Ergebnis wie hier zu vermeiden. Darüber hinaus gilt es Regelungen zur Höhe der potentiellen Nutzungsausfallentschädigung vorsorglich in den Vertrag aufzunehmen.
3.2. BAG 03.06.2025: kein Urlaubsverzicht durch Prozessvergleich
Gemäß § 13 BUrlG kann hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs nicht auf diesen verzichtet werden. Absolut geübte Praxis des arbeitsrechtlichen Verfahrens war es bisher, Urlaub als „in Natura genommen“ zu vereinbaren. Die Rechtsprechung sah hierin bis dato einen so genannten Tatsachenvergleich. Kritisch waren hier natürlich stets Fälle, in welchen diese Urlaubsinanspruchnahme faktisch gar nicht stattgefunden haben kann, z.B. weil der Mitarbeiter im betroffenen (Rest-) Urlaubszeitraum durchgehend krank war. Im entschiedenen BAG Fall vereinbarten die Parteien, dass der Urlaub genommen sei, es war aber absehbar, dass der Kläger bis zum geplanten Beendigungstermin durchgehend krank sein würde. Trotz der Vereinbarung im gerichtlichen Vergleich, der Urlaub sei erledigt, verlangte der Kläger nachlaufend Urlaubsabgeltung für die noch offenen 7 Tage. Zur Begründung führt das Gericht an, während des Laufes des Arbeitsverhältnisses könne der Arbeitnehmer nicht auf Urlaub verzichten. Zudem komme es stets auf die rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses an, nicht die tatsächliche. Ein Tatsachenvergleich liege nicht vor, denn es sei keine bestehende Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt worden. Der Kläger sei seit Anfang 2023 durchgängig krank gewesen. Angesichts der seit Anfang des Jahres 2023 durchgehend bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestand vorliegend kein Raum für eine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs. In der Folge kommt eine entsprechende Erledigungsregelung erst nach dem Beendigungstermin in Frage, was die Praktikabilität dessen fragwürdig erscheinen lässt, ist doch der Abschluss eines Vergleichs gerade dazu bestimmt, möglichst vor dem Beendigungstermin eine abschließende Lösung herbei zu führen. Abweichende Fallgestaltungen bedürfen der sorgfältigen Ausgestaltung um zum gewünschten Ergebnis der Urlaubserledigung zu gelangen.
3.3. LAG Hamm 11.09.2025: Übertragung von Mehrurlaub, der gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, nach Elternzeit
Die Klägerin konnte von insgesamt zustehenden 30 Urlaubstagen in 2021 nur 24 Tage nehmen. Sie befand sich nachfolgend in Elternzeit bis 2024 und verlangte die 6 Tage aus 2021 nach. Nach der Regelung des Tarifvertrags wird im Falle einer Übertragung der Urlaub in den ersten 4 Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt, ansonsten verfällt er. Hierauf berief sich die Arbeitgeberin und ging von einem Verfall zum 30.04.2022 aus. LAG sprach den Urlaub zu, weder die gesetzliche Regelung zum Verfall bis spätestens 31.03. des Folgejahres noch die insofern günstigere Regelung des Tarifvertrags mit Verfall zum 30.04. fänden Anwendung. Die Regelung des § 17 BEEG seien vorrangig, hiernach verschiebt sich die Inanspruchnahme auf den Zeitraum der Rückkehr aus der Elternzeit, hier zum 31.12.2025. Eine Unterscheidung zwischen der Übertragung gesetzlichen Mindesturlaubs (20 Tage) und tariflichen Mehrurlaubs käme hier nicht in Betracht, obwohl der Tarifvertrag den Verfall zum 30.04. des Folgejahres ausdrücklich für den tariflichen Mehrurlaub anordne. § 7 BUrlG und § 15 Abs. 8 MTV einerseits sowie die Vorschriften der § 17 Abs. 2 BEEG betreffen verschiedene Regelungsgegenstände. Während erstere die Übertragung und den Verfall von Urlausansprüchen regeln, beinhalten letztere schon ihrem Wortlaut nach keine Verlängerung des drei- respektive viermonatigen Übertragungszeitraums, sondern eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG).
Aus unserer Sicht stellt sich die Frage, insoweit die Regelung des § 17 BEEG nicht abdingbar ist zumindest für den vertraglichen Mehrurlaub, denn die Rechtsprechung des BAG in diesem Bereich Gestaltungspielräume. So ist häufig geregelt, dass (tarif-) vertraglicher Mehrurlaub z.B. bereits am Ende des Urlaubsjahres verfällt und nicht erst zum 31.03. des Folgejahres. Diese Dispositionsfreit spricht aus unserer Sicht dafür, diese Gestaltung auch für den Fall der Verschiebung aufgrund Elternzeit zuzulassen. Dies setzt dann allerdings eine klare vertragliche Regelung voraus, welche strikt zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Zusatzurlaub unterscheiden.